«Mining the Atmosphere» – CO2 als Rohstoff
Was wäre, wenn CO2 nicht mehr nur als klimaschädliches Gas, sondern auch als wertvoller Rohstoff betrachtet würde? An dieser Vision arbeitet die Empa (das interdisziplinäre Forschungsinstitut für Materialwissenschaften und Technologie des ETH-Bereichs) im Rahmen der Forschungsinitiative «Mining the Atmosphere».

Seit Jahrhunderten werden Eisenerze, Kohle und Erdöl, seltene Erden und andere wertvolle Mineralien aus Sedimenten extrahiert und als essenzielle Rohstoffe für zahlreiche Industrien genutzt. Seit dem 21. Jahrhundert umfasst der Begriff «Mining» jedoch weit mehr als den traditionellen Bergbau, etwa die Gewinnung von Daten und Kryptowährungen. Das Konzept des «Mining» kann auch auf die Atmosphäre übertragen werden, die uns diverse gasförmige Rohstoffe bereitstellt. So wird Stickstoff aus der Umgebungsluft seit über hundert Jahren in chemischen Verfahren zur Herstellung von Pflanzendüngern verwendet. Im Zuge der aktuellen Klimadebatte rückt insbesondere die Extraktion von Kohlenstoffdioxid (CO2) aus der Atmosphäre in den Fokus. Wird das CO2 in langlebigen Materialien oder im Untergrund für Jahrtausende gespeichert, kann eine relevante abschwächende Wirkung auf die Klimaerwärmung erzielt werden. Diese langfristige CO2-Entnahme und -Speicherung kann durch verschiedene Verfahren erfolgen, die unter dem Begriff Negativemissions-Technologien (NET) zusammengefasst werden.
Negativemissions-Technologien (NET)
Obwohl in der Öffentlichkeit noch wenig bekannt, sind NET ein essenzieller Bestandteil der globalen Klimapolitik. NET sind zwingend erforderlich, um schwer vermeidbare Emissionen auszugleichen, die auch nach 2050 noch etwa in der Landwirtschaft oder bei Hochtemperaturprozessen in der Industrie anfallen werden. Ab 2050 sollte die globale CO2-Bilanz sogar negativ sein, um die CO2-Konzentration in der Atmosphäre auf ein sicheres Niveau zu senken und so die Klimaerwärmung zu begrenzen. Mehrere Milliarden Tonnen CO2 müssen dafür global jährlich aus der Atmosphäre entfernt werden, um das Risiko zu minimieren, kritische klimatische Kipppunkte zu überschreiten. Denn dies könnte gravierende Folgen nach sich ziehen, etwa das Abschmelzen des grönländischen Eisschilds oder eine Abschwächung des Golfstroms.
Zu den wichtigsten technischen Methoden zählt «Direct Air Carbon Capture and Storage» (DACCS). Dabei wird CO2 aus der Luft gefiltert und nach der Entnahme sicher gespeichert, um ein erneutes Entweichen zu verhindern. Das Gas wird aber auch durch verschiedene natürliche Prozesse aus der Atmosphäre entzogen, etwa durch Bindung in Biomasse beim Wachstum von Pflanzen oder der Lösung und Bindung in den Ozeanen.
CO2 – ein wertvoller Rohstoff
Die Empa forscht seit einigen Jahren an Verfahren, die über die reine Abscheidung und Speicherung von CO2 hinausgehen. Dabei wird das Gas als Alternative genutzt, um fossile Rohstoffe zu ersetzen. Langfristig soll sich so ein neues globales Wirtschaftsmodell und die dazugehörigen Industriesektoren etablieren, die CO2 als Rohstoff in wertbringende Materialien umwandeln, um klimaschädliche Baustoffe und Petrochemikalien zu ersetzen. Denn es wird oft ausser Acht gelassen, dass CO2 nicht nur ein Klimagas, sondern auch eine Ressource ist, die in verschiedenen natürlichen und industriellen Prozessen Anwendung findet. Eine vielversprechende Möglichkeit zur sinnvollen Nutzung des abgeschiedenen CO2 ist beispielsweise die Umwandlung in synthetische Kraftstoffe (E-Fuels). Weitere Einsatzbereiche sind die Herstellung von Baustoffen, wie karbonatisiertem Beton, Düngemittelproduktion sowie die Nutzung von CO2 in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie. Die Verwendung von CO2 aus der Atmosphäre trägt daher nicht nur zur Reduzierung der globalen Erwärmung bei, sondern bieten auch neue wirtschaftliche Chancen in einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft.
Mining the Atmosphere
Aktuell betreibt die Empa Forschung entlang der gesamten Wertschöpfungskette, von der CO2-Gewinnung über die Umwandlung in transportierbare und speicherbare Zwischenprodukte. Der Fokus liegt auf zwei zentralen Anwendungsfällen für CO2-basierte Materialien: einerseits auf Massenprodukten, die das Potenzial haben, eine grosse Menge an Kohlenstoff zu binden. Das abgeschiedene CO2 wird dabei in synthetisches Methanol (Methanol-Synthese) oder Methan (Methanisierung) umgewandelt. Methanol kann als Ausgangsmaterial für eine Vielzahl organischer Verbindungen dienen, die heute mehrheitlich aus Erdöl hergestellt werden. Methan lässt sich pyrolysieren, wobei Wasserstoff und Kohlenstoffpulver entstehen. Wasserstoff kann wiederum energetisch genutzt werden, während das Kohlestoffpulver als Rohstoff für diverse Baustoffe eingesetzt werden kann. Die Empa entwickelt derzeit erste Demonstrationsanlagen, um die Herstellung von Beton mit Anteilen an Kohlenstoffpulver weiter zu erforschen. Im Rahmen der neuen NEST-Unit «Beyond Zero» werden die Forschungsergebnisse der Empa direkt in die Praxis übertragen und zur Skalierung und Kommerzialisierung weiterentwickelt.
Nebst den Massenprodukten konzentriert sich die Forschung auf hochwertige Produkte. Darunter fallen Kohlefasern und Kohlenstoff in Form von Pflanzenkohle, die durch die Pyrolyse von Biomasse gewonnen werden und unter anderem in der Baustoffindustrie, Landwirtschaft (zur Optimierung der Bodenqualität), Wasseraufbereitung sowie in der Energiespeicherung Anwendung finden können.
Gebäude als CO2-Senken
Bereits heute kann ein Beton mit durchschnittlichen mechanischen Eigenschaften hergestellt werden, der eine Netto-Null-Bilanz bei den CO2-Emissionen aufweist. «Klark» der Klimabeton mit Pflanzenkohle von Logbau ist eines der ersten klimaverträglichen Produkte, dass auf dem Markt erhältlich ist. Mit weiteren Optimierungen könnte die Empa künftig sogar ein netto-negatives Betonprodukt entwickeln, das aktiv zur CO2-Reduktion beiträgt. Damit der Übergang zu CO2-basierten Baumaterialien erfolgreich ist, müssen diese mindestens die Leistungsfähigkeit konventioneller Materialien erreichen oder idealerweise sogar übertreffen. Gleichzeitig sollten die erforderlichen Anpassungen aufgrund der unterschiedlichen Beschaffung der Kohlenstoff-haltigen Materialien in den Bau- und Planungsprozessen minimal bleiben, um eine breite Akzeptanz in der Branche zu gewährleisten. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, dürfte die Bauwirtschaft auch gewisse Mehrkosten akzeptieren – insbesondere, wenn ein CO2-Preis auf fossile und geogene Quellen eingeführt wird.
Jährlich werden weltweit über 30 Milliarden Tonnen Beton verbaut. Beton gilt aber als Klimasünder unter den Baustoffen, da bei der Herstellung von Zement, dem unerlässlichen Bindemittel für den harten und vielseitigen Baustoff, massiv CO2 emittiert wird. Die Bauwirtschaft ist deshalb in erheblicher Verantwortung hinsichtlich der menschengemachten Klimaerwärmung. Würde es gelingen, vermehrt kohlenstoffbasierte Zuschlagstoffe für Beton und Asphalt einzusetzen, könnte man das Klimagas CO2 zumindest teilweise wieder binden. Eine weltweit konsequente Umsetzung hätte einen mildernden Effekt auf den menschengemachten Klimawandel um bis zu -1°C (im Zeithorizont von 170 Jahren). Deshalb haben Baumaterialien im Rahmen von «Mining the Atmosphere» höchste Priorität – nebst kohlenstoffbasierten Zuschlagstoffen für Beton und Asphalt auch Isolationsmaterialien auf Basis von pyrolisierter Biomasse.
Sind NET zukunftsfähig?
Die aktive, technische Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre ist energieintensiv und mit beträchtlichen Kosten verbunden. Deshalb ist es essenziell, dass diese Prozesse ausschliesslich mit Energie aus erneuerbaren Quellen betrieben und vorzugsweise an Standorten errichtet werden, an denen diese im Überschuss verfügbar ist. Auch in der Schweiz können solche Prozesse während der sonnenreichen Sommermonate umgesetzt werden. «Gebäude und Infrastruktur weltweit können zu einer CO2-Senke werden und haben das Potential die Temperatur innerhalb von 100-200 Jahren wieder um 1°C zu reduzieren» erklärt Peter Richner, ehemaliger stellvertretender Direktor der Empa. Die nächsten Jahre werden daher entscheidend sein, um die Technologien aus dem Forschungsstadium in die breite Anwendung zu überführen und damit einen nachhaltigen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Einen Beitrag zum Fundament dafür hat die Empa mit «Mining the Atmosphere» bereits gelegt.
Dieser Fachartikel ist am 13. Juni 2025 in der Fachzeitschrift Phase5 erschienen.
Dokumente
Quellen
Text: Laura Leibundgut, Polarstern AG
Bilder: Empa